Ausbrechen aus Gewohntem

Aufbrechen aus Gewohntem oder Außen mit Innen wieder in Einklang bringen

Oh schon wieder fordert mich das Leben auf, aus dem Gewohnten auszubrechen und mich dem Leben hinzugeben.
Rückwärts betrachtet, war es immer gut, das Alte hinter mir zu lassen und Neues zu beginnen. Und wie schön es war, im Neuen angekommen zu sein.
Und jetzt? Da fühle ich wieder diese Unklarheit und diese Bremse, wie ich sie schon kenne, bevor innere Veränderungen in Einklang mit meinem sichtbaren Leben kommen. Ich weiß noch nicht, wo es langgehen kann. Ich merke nur: Das, was ich zurzeit lebe, hat nicht mehr wirklich Kraft. Ja es läuft noch und es läuft gar nicht so schlecht. Es gibt auch Bereiche, die machen Freude und Zufriedenheit. Nur Freude und Zufriedenheit verfliegen recht schnell wieder. Und hilfreich für andere Menschen ist meine Arbeit wirklich sehr. Aber irgendetwas fehlt für mich. Irgendetwas stimmt für mich nicht mehr. Nur was? Ich merke mein Brennen und meine Begeisterung sind nur noch teilweise da. Und es gibt Teile in meiner Arbeit, die werden mir gerade zu anstrengend. Da stimmt also auch etwas nicht mehr.

Wo geht es weiter? Ich weiß es nicht, bekomme noch keinen Impuls. Dieses Nicht-Wissen auszuhalten, fällt einem Teil von mir schwer. Er will sofort losmachen, kreieren, neue Projekte ins Leben setzen. Es geht noch nicht. Wenn ich Neues entwickeln will, sitze ich vor einem leeren Worddokument und es bleibt leer. Alles was mir jetzt bleibt, ist, mich dem Leben hinzugeben, mich achtsam dem zuzuwenden, was in mir ist. Das bedeutet für mich: meine Gefühle wahrzunehmen und zu bejahen, denn so spricht das Leben zu mir.

Dieses Vorgehen kenne ich, ist Teil meiner beruflichen Arbeit als Trainerin für wertschätzende Gewaltfreie Kommunikation: Andere erst einmal ins echte Fühlen zu bringen. Denn erst wenn alle relevanten Gefühle gehört werden und angenommen werden, geht es weiter, passiert Befreiung. Das habe ich schon so oft erlebt, wie sich in einer empathischen Begleitung schwierige und scheinbar unlösbare Situationen und Konflikte in Klarheit, Erleichterung, Begeisterung und später in Tatkraft verwandeln. Bei diesen Begleitungen lasse ich das Leben im Dienste der anderen durch mich fließen, lausche auf das, was mich erreicht und stelle es dem Anderen zur Verfügung. Nun fordert das Leben mich auf, dies alles auf mich anzuwenden. Und ich weiß: einen Teil der Arbeit kann und muss ich selbst tun. Der andere Teil passiert. Den brauche ich nur mit Offenheit wahrnehmen.

Okay, das Fühlen von dem, was in mir ist, kann ich selbst tun: Da habe ich inzwischen viel Erfahrung. Wie geht es mir also? In vielen Bereichen fühle ich mich wohl. Aber es gibt auch Teile, da ist mir langweilig, da bin ich angespannt, mach mir Druck. Und ich merke, dass ich mich auch ausgelaugt fühle. Das habe ich bisher vor mir versteckt, habe trotz Anspannung und Unwohlgefühl weitergemacht. Okay, etwas laugt mich auch aus. Ich nehme die Gefühle ernst und forsche nach. Und das Leben hilft mir dabei: Ich mache meine Steuererklärung – und bin entsetzt: Ich habe so viel Einnahmen – und nach der Steuer bleibt für mich wenig pro Monat übrig. Das frustriert mich. Was kann ich verändern? Mehr Seminare anbieten? Nein geht nicht. Ich bin schon ausgelaugt und ausgelastet. Ich will und muss mehr verdienen. Nur wie? Also es geht nur über höhere Einnahmen pro Einheit, sowohl in Seminaren und auch in Begleitungen. Offenbar verkaufe ich mich zu billig. Das laugt aus. Das erkenne ich jetzt. Und sofort zeigt sich die nächste Unklarheit: Wenn ich mehr Geld nehmen will, muss ich wissen wofür, denn Qualität und ein ehrliches Preis-Leistungs-Verhältnis sind mir wichtige Werte. Was genau macht die Qualität meiner Arbeit aus, die ich jetzt schon seit 10 Jahren mache? Da hat sich doch sicherlich was verändert. Und die letzten Jahre habe ich eine zweijährige tiefgründig Fortbildung zur integrativen Therapeutin/ Beraterin besucht. In welcher Weise habe ich mich verändert? Das bekomme ich gerade nicht zu fassen und stelle diese Frage ans Universum.

Das Leben schickt mir meinen Mann, der mich zu einem Trainertreffen mit dem Titel: „Das eigene Profil schärfen“ einlädt und anmeldet. Ja, darum geht es für mich: Wie kann ich mein Angebotsprofil schärfen? Und ich erhalte eine Menge Anregungen bei diesem Treffen, u.a. wichtige Kunden zu fragen: „Was ist das Besondere für dich an meinen Seminaren und was ist das Besondere für dich an mir?“
Oh schön. Das probiere ich aus! Und ich erfahre, Dinge, die mir bewusst sind, aber auch solche, die ich für völlig normal gehalten habe und mir damit unbewusst sind. Zum Beispiel wird mir bewusst, dass ich sehr effektiv arbeite. Und es wird mir von mehreren Seiten gesagt, dass ich ein Supergefühl dafür habe, was für die begleitete Person wirklich stimmt und dass ich liebevoll nachhake, bis es wirklich stimmt. Diese Worte stärken mich. Oh, dass ich so hocheffektiv arbeite, war mir bisher nicht bewusst. Ich hatte mich immer nur gefreut, wenn die begleitete Person für sich eine wunderbare stimmige Lösung gefunden hatte. In den Befragungen erfahre ich auch, wie wohltuend und entwicklungsfördernd meine Seminare für die Teilnehmer sind. Und jetzt entsteht so etwas wie ein erster Schlüssel zur Lösung: Ich erkenne, dass hocheffektives Arbeiten Zeit spart – für mich und für meine Kunden. Statt viel Zeit zu brauchen, fließt in den Coachings und Seminaren viel Energie pro Einheit – und die gebe ich – und muss sie ausgleichen. Nicht durch in die Länge ziehen oder weniger fließen lassen. Das kann ich nicht, sondern durch höhere Bezahlung. Oh fein. Das habe ich mir doch gewünscht.

Mein Bewusstwerdungsprozess und das Außen mit Innen in Einklang zu bringen, ist noch nicht abgeschlossen – und ich bin gespannt und offen, gebe mich dem Leben hin und warte achtsam, welcher Impuls der Bewusstwerdung als nächstes durch mich fließt, solange bis mein Profil neu geschärft ist, ich mich wieder rundherum wohl fühle und kraftvoll Neues entsteht.

Gudrun Höntsch
Dieser Artikel von mir erschien im Oktober 2019 in der Zeitschrift „einfach ja“